Du hast ein Kind geboren und seither Probleme deinen Urin zu halten? Das ist keine Seltenheit. Denn Inkontinenz ist nicht nur ein Problem des Alters. Statistisch gesehen wird jede 3. bis 4. Frau beziehungsweise Mensch mit Gebärmutter irgendwann in ihrem Leben, zumindest vorübergehend, harninkontinent.
Nach der Geburt spielt vor allem die sogenannte Belastungsharninkontinenz eine Rolle. Aber auch eine Stuhlinkontinenz kann vorkommen. Leider wird viel zu wenig darüber gesprochen, denn die Inkontinenz liegt voll in der Tabuzone. Und da mir Tabuzonen besonders gut gefallen, entfernen wir in diesem Beitrag der Inkontinenz ihre deskrete Slipeinlage und werden sichtbar. Du lernst, wie und warum Inkontinenz nach der Geburt entsteht, welche Risikofaktoren dabei eine Rolle spielen und was man alles dagegen tun kann.
Was bedeutet Inkontinenz?
Wenn man über Inkontinenz spricht, unterscheidet man die Harninkontinenz, bei der man unfreiwillig Urin verliert, von der Stuhl- oder Flatusinkontinenz, bei der man den Stuhlgang oder Winde nicht halten kann. Beides kann kurz- oder langfristig nach einer Geburt vorkommen.
Die häufigsten Formen der Harninkontinenz sind die Belastungsinkontinenz und die Dranginkontinenz. Während der Schwangerschaft und nach der Geburt kann es zu einer Belastungsinkontinenz kommen. Meistens macht sie sich durch Urinverlust beim Husten, Niesen oder Sport bemerkbar. Bei höheren Schweregraden sogar beim Gehen, Aufstehen oder Liegen. Man nennt sie auch Stressinkontinenz. Dabei kommt es wegen einer Verschlussschwäche der Harnröhre nach Überdehnung oder Verletzung der Muskulatur beim Druckanstieg im Bauchraum zum Verlust von Urin.
Die Drang- oder Urgeinkontinenz tritt eher bei älteren Menschen oder im Zuge neurologischer Erkrankungen auf. Hierbei reagiert die Blasenmuskulatur überempfindlich auf Füllung, weshalb ein ständiger Harndrang entsteht.
Kann man den Stuhl oder Winde nicht halten oder ausreichend kontrollieren, spricht man von einer Stuhl- oder Flatusinkontinenz. Auch das kann nach einer Geburt, vor allem nach höhergradigen Geburtsverletzungen, vorkommen.
Wie viele Menschen leiden an einer Belastungsharninkontinenz nach der Geburt?
Eine Belastungsharninkontinenz nach der Geburt ist ein häufiges Problem, was in der Anfangszeit nach einer vaginalen Geburt 25-33% aller Mütter betrifft. Bei circa 6 % bleibt sie dauerhaft bestehen. Aber auch nach einem Kaiserschnitt kann sie vorkommen. Denn alleine die Schwangerschaft stellt schon durch die körperliche Belastung einen Risikofaktor dar.
Die Dunkelziffer ist vermutlich höher, denn schätzungsweise 70 % aller Betroffenen sprechen das Thema nicht in der gynäkologischen Praxis an. Gründe dafür sind Scham, das Zurückstellen der eigenen Bedürfnisse als Mutter und schlichtweg das fehlende Wissen, dass Inkontinenz in und im ersten Jahr nach der Schwangerschaft nicht normal ist.
Dabei gibt es gute Therapiemöglichkeiten, mit denen die Inkontinenz vollständig geheilt oder zumindest deutlich gelindert werden kann und damit die Lebensqualität massiv steigt.
Und wie häufig kommt die Stuhl- oder Flatusinkontinenz vor?
Viel öfter als man denkt. In einer Studie in der Berliner Charité gab sechs Wochen nach der Geburt jede dritte Frau an, den unwillkürlichen Abgang von Darmgasen nicht vermeiden zu können. Fast jede fünfte hatte gelegentlich Probleme mit der Stuhlkontrolle. Aus weiteren Studien geht hervor, dass drei Monate nach der Geburt noch eine von zehn Frauen über gelegentliche Stuhlinkontinenz berichtet.
Um zu verstehen, wo bei der Belastungsinkontinenz das Problem liegt, schauen wir uns den Beckenboden einmal genauer an:
Unter dem Begriff Beckenboden werden alle Muskeln zusammengefasst, die den muskulären Boden des Beckens bilden und den Blasenhals und den Schließmuskel umgeben. Zu den wichtigsten Muskelgruppen zählen:
Der Musculus pubococcygeus,auch PC-Muskel genannt: Dieser Muskel verläuft vom Schambein bis zum Steißbein und umschließt den Scheideneingang sowie den After. Er ist der wichtigste Muskel des Beckenbodens und spielt eine entscheidende Rolle bei der Kontrolle von Blase und Darm.
Der Musculus iliococcygeus: Dieser Muskel verläuft vom Darmbein bis zum Steißbein und unterstützt den PC-Muskel bei der Stützung der inneren Organe.
Der Musculus puborectalis: Dieser Muskel bildet einen Ring um den Enddarm und hilft dabei, den Stuhl zu halten und den After zu verschließen.
Während der Schwangerschaft bewirken die Schwangerschaftshormone zur Vorbereitung auf die Geburt, dass die Bänder weicher und dehnbarer werden. Der Druck der Gebärmutter mit Kind sowie die vaginale Geburt kann die Beckenbodenmuskulatur dadurch leichter überdehnen und schwächen. Und das kann die Kontrolle über Blase und Darm beeinträchtigen.
Was sind Risikofaktoren, die eine Inkontinenz in oder nach einer Schwangerschaft begünstigen?
1. Übergewicht der Gebärenden, vor und während der Schwangerschaft, sowie die starke Gewichtszunahme während der Schwangerschaft und ein Schwangerschaftsdiabetes.
2. ein hohes Geburtsgewicht des Kindes
3. eine lange Austreibungsperiode und lange aktive Pressphase. Die Austreibungsperiode ist die letzte Phase der Geburt, ab dem Zeitpunkt, wenn der Muttermund vollständig ist, bis das Kind geboren wird.
4. Größere Geburtsverletzungen oder Dammschnitte. Bei einem Dammriss dritten und vierten Grades ist die Sphinctermuskulatur um den Anus verletzt, was zu Verschlussproblemen führen kann. In den meisten Fällen heilen aber auch hochgradige Dammverletzungen nach korrekter Nahtversorgung zur vollständigen Funktionsfähigkeit.
Außerdem begünstigen Rauchen und chronischer Husten, ein von der Natur aus schwächeres Bindegewebe und das steigende Alter der Gebärenden die Entstehung einer Inkontinenz.
Unmittelbar nach der Geburt sollte auf regelmäßiges Wasserlassen geachtet werden, damit es nicht zu einer Überdehnung der Blase kommt. Bei einer bereits bestehenden Belastungsharninkontinenz kann sich diese zwar theoretisch in der zweiten Schwangerschaft und unter Geburt verschlimmern, der Hauptschaden findet allerdings in der Regel bei der ersten Geburt statt. Tatsächlich hat man nach einer vaginalen Geburt generell ein höheres Risiko, im Laufe seines Lebens eine Belastungsinkontinenz zu entwickeln, als nach einem Kaiserschnitt. Allerdings bringt eine Operation andere Risiken mit sich, weshalb führende Fachgesellschaften den Kaiserschnitt nur nach guter Abwägung und bei weiteren medizinischen Gründen empfehlen.
Was kann ich tun, wenn ich unter Belastungsinkontinenz nach der Geburt leide?
An erster Stelle ist es wichtig, sich seiner nachsorgenden Hebamme und der Frauenärztin oder dem Frauenarzt anzuvertrauen, damit gemeinsam eine Therapiestrategie erarbeitet werden kann. Hier gilt, je früher, desto besser. In den meisten Fällen kann die Inkontinenz mit etwas Geduld gut behandelt werden und es gibt so oder so keinen Grund, still zu leiden.
Maßnahmen, die bei Inkontinenz helfen können, sind:
1. Gezieltes Beckenbodentraining
Nach einer Spontangeburt sollte, je nach Geburtsverletzungen, nach 4-6 Wochen und nach einem Kaiserschnitt nach 6-8 Wochen damit begonnen werden.
Rückbildungskurse finden unter professioneller Anleitung von Hebammen oder Physiotherapeutinnen und Physiotherapeuten statt und werden von der Krankenkasse erstattet. Es gibt auch gute Onlinekurse. Der Beckenboden braucht etwa 3 bis 6 Monate, bis eine Kräftigung spürbar wird.
2. Gesunde Ernährung und regelmäßige körperliche Aktivität
Eine ausgewogene Ernährung mit ausreichender Flüssigkeitszufuhr und regelmäßige Bewegung wirkt sich positiv auf die Verdauung aus. Gerade Verstopfung kann bei Inkontinenz zum Problem werden, weil starker Druck dem Beckenboden schadet. Auch harntreibende Getränke wie Kaffee oder grünen Tee sollten bei einer Blasenschwäche nur in Maßen genossen werden. Außerdem stärken Beckenboden-schonende aber kräftigende Sportarten die Muskulatur. Hierzu zählen zum Beispiel Yoga, Pilates und Schwimmen. Tennis, Trampolinspringen oder je nach Lauftechnik auch Joggen können den Beckenboden belasten.
3. Gewichtskontrolle oder Gewichtsabnahme
Übergewicht erhöht den allgemeinen Druck des Körpers auf den Beckenboden und wirkt daher kontraproduktiv. Und hierfür sind wieder eine regelmäßige Bewegung und gesunde Ernährung wichtig.
4. Das Heben schwerer Gegenstände vermeiden.
Es gibt keine generelle Empfehlung, wie viel Kilo Heben gut oder schlecht für den Körper ist, da jeder Mensch individuelle Kapazitäten hat. In der Gynäkologie wird als grober Anhaltswert häufig von 5 Kilogramm als Grenze gesprochen. Wichtig ist es, bei jedem Heben den Beckenboden zu aktivieren. Wer sein Kind gerne in einem Tragetuch trägt, sollte darauf achten, dass dieses korrekt sitzt und nicht unnötig den Beckenboden belastet. Eine kompetente Trageberatung kann hier Gold wert sein.
5. Die Verwendung von Inkontinenzprodukten
Inkontinenzprodukte wie Binden können Frauen helfen, sich sicherer zu fühlen und unangenehme Situationen vermeiden. Aber das ersetzt natürlich keine Therapie. Ab Mitte 30 auf entsprechende Binden angewiesen zu sein, soll nicht die Lösung sein - wenn es andere Optionen gibt.
Welche Diagnostik wird in der gynäkologischen Praxis gemacht?
Nach einem ausführlichen Gespräch zur Schwangerschaft und dem Geburtsverlauf, werden die genauen Beschwerden erfragt, also wann genau wird der Urin verloren, gibt es Auslöser, wie Husten und Niesen und so weiter. Außerdem wird auf Vorerkrankungen und Medikamente geachtet, die eine Inkontinenz fördern können. Das Führen eines Miktionstagebuchs über circa 2 Wochen ermöglicht es außerdem Rückschlüsse auf ungünstige Trink- oder Toilettengewohnheiten oder andere Verhaltensmuster zu ziehen, die für die Inkontinenzverantwortlich sein könnten.
Zu den Untersuchungen gehören: die Urindiagnostik im Labor zum Ausschluss von Infektionen, eine Messung des nach dem Wasserlassens in der Blase verbleibenden Urins, auch Restharn genannt, mittels Ultraschall, die Tastuntersuchung und Spekulumuntersuchung zur Beurteilung der Beckenbodenmuskulatur und eventuell abgesenkter Gebärmutter oder eine sich in die Vagina wölbende Blase oder Enddarm. Mit dem Hustentest, bei dem die Betroffene gebeten wird, mit voller Blase zu Husten, kann eine Belastungsinkontinenz provoziert werden.
Reichen die genannten Untersuchungen für eine Diagnose nicht aus, können weitere Untersuchungen bei einer Urogynäkologin oder einem Urogynäkologen gemacht werden.
Welche Therapien bieten Ärzt*innen und andere Therapeut*innen an?
Die Therapie der Inkontinenz darf sehr individuell auf die Situation und Bedürfnisse der Betroffenen abgestimmt werden. Zu den Möglichkeiten gehören:
1. Das Biofeedback
Biofeedback-Geräte werden in die Vagina eingeführt und messen dort die Anspannung der Beckenbodenmuskulatur. Dadurch kann kontrolliert werden, ob Kräftigungsübungen korrekt durchgeführt und ein Erfolg protokolliert werden. Auch sogenannte Vaginalkonen arbeiten nach dem Bio-Feedback-Prinzip. Hierbei handelt es sich um kleine, verschieden schwere Gewichte, die ähnlich wie ein Tampon in die Vagina eingeführt werden. Die Geräte können ärztlich per Rezept verschrieben werden
2. Pessare
Ein Pessar stützt die Harnröhre und die Blase bei körperlicher Aktivität. Es wird von den Frauen selbst eingeführt und auch wieder entfernt. Es gibt sie aus Silikon oder einer Art Schaumstoff. Schon während der ersten Phase der Rückbildung können sie die Heilung unterstützen, indem sie den Beckenboden mechanisch an seinen ursprünglichen Platz zurückschieben und dort das Wiederverkleben möglicher bindegewebiger Ausrisse unterstützen kann.
3. Die transkutane elektrische Nervenstimulation, auch TENS genannt
Stromimpulse können den Anal- und Vaginalschließmuskel trainieren. Das macht vor allem Sinn, wenn unter der Geburt eine Schädigung der Nervenbahnen vermutet wurde und die Betroffenen infolgedessen die Beckenbodenmuskeln nicht mehr so gut spüren. Auch bei extrem untrainierten Muskeln ist die Elektrostimulation empfehlenswert. Es gibt sogar Kombinationsgeräte, die Biofeedback und TENS vereinen.
4. Der CO2-Laser
Bei leichten Formen der Belastungsharninkontinenz kann ein CO2 Laser eingesetzt werden. Die Laserstrahlen sollen eine Verdickung und stärkere Durchblutung der Vaginalhaut bewirken, was dann zu einer verbesserten Kontinenz und Straffung der Vagina führt.
5. Medikamente
Medikamente gegen Belastungsharninkontinenz werden im jüngeren Alter eher selten eingesetzt. Hier können sogenannte Serotonin-Reuptake-Inhibitoren zum Einsatz kommen. Im Alter darf zudem auf die Östrogenisierung der Vaginalschleimhaut geachtet werden.
6. Operative Therapien
Führen all diese Verfahren nicht zum gewünschten Erfolg, können auch Operationen in Erwägung gezogen werden, wobei diese eher im Alter eingesetzt werden. Hierzu kommt das Einsetzen eines Bandes oder eine Unterspritzung der Harnröhre in Frage, gegebenenfalls in Kombination mit Senkungsoperationen.
Wow, das war jetzt viel Information auf einmal. Das darfst du erstmal in Ruhe verdauen und dann frisch motiviert dein Problem - wenn vorhanden - angehen. Wie du nun weißt, bist du nicht alleine damit und es gibt viele Möglichkeiten dir zu helfen und Menschen, die dir helfen und dich kompetent begleiten können.
Quellen:
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